Montag, 23. März 2020

2. Woche

Reise ins Coronaland/3


Tag 8. Samstag, den 21.3.

Frühlingsanfang. So hatten wir uns das nicht gedacht.

In der Nacht geht mir durch den Kopf, was wir gerade erleben. Es ist eine ganz neue Erfahrung, die wir da machen, eine neue Art Lebensgefühl. Auch wenn wir ganz gut darauf verzichten könnten. Wir leben in Zeitlupe und Zeitraffer zugleich. Vieles steht still und alles geschieht rasend schnell. Bewegter Stillstand also. Wir bewegen uns nur noch in uns bekannten Räumen und doch in einem unbekannten Raum, in dem wir Überraschung an Überraschung erleben. Mitten im Nichtstun Spannung pur. Alles ist gleich und doch so neu. Wir erleben das Bekannte als verändert.

Mal sehen, wie wir da rauskommen.

Bisher hatten wir im Kanton noch keine Corona-Toten. Wann kommen sie? Wen wird es treffen? Bekannte, Freunde, Familie? Aber wir müssen das auf uns zukommen lassen. Wie sagte doch Gustav, der Freund von Elos Familie Korbmacher in Frankfurt: „Über das, was du nicht ändern kannst, sollst du dich gar nicht erst aufregen.“

Xu Ning, ein chinesischer Freund von uns, schreibt aus der westchinesischen Metropole Lanzhou in Gansu, wo er ein Reisebüro betreibt, dass sich die Sache langsam beruhigt. Restaurants sind wieder offen, Familien treffen sich. Was erstaunlich ist: „In unserer Provinz (450,000 km², größer als Deutschland, 26 Millionen Einwohner) gab es bisher insgesamt 91 bestätigte Covid-19 Infektionsfälle. Aber seit 17.02. gibt es überhaupt keine neuen infizierten Fälle mehr... Aber eins muss ich noch extra erwähnen, es kommen zurzeit viele Leute (Ausländer, Chinesen und Auslandschinesen) aus dem Ausland nach China, so gibt es wieder immer mehr und mehr eingeführte Fälle, allein in unserer Provinz sind zur Zeit wieder 45 vom Ausland einführte Fälle, die hier unter Quarantäne sind.“ Die totale Abschottung von Wuhan und Umgebung, wo die Seuche ausbrach, scheint die anderen Provinzen, insbesondere abgelegene wie Gansu, geschont zu haben. Xu Ning ist in aller Regel eine zuverlässige Quelle, auch wenn er sich aus den Medien informieren muss, die er hat. Elo fragt sich, ob die Chinesen unter Umständen durch Sars und Vogelgrippe schon besser immunisiert sind als wir.

Im Radio gibt ein ernst zu nehmender dissidenter Wissenschafter zu bedenken, dass in China die Regierung gewohnt ist, zu lügen. Und sie tue es zurzeit mit geschönten Zahlen, um die Wirtschaft wieder hochfahren zu können. Ist das so, ist es ein Akt auf dem Hochseil, denn wenn das Virus wieder mit Macht zurückkehrt, wird das für die Herren an der Macht sehr schwierig werden.

Die Schweiz holt Touristen zurück, die gestrandet sind, vorab aus Lateinamerika zunächst. Dort reagieren nicht alle Potentaten gleich souverän:

Der CV ist auch in den Favelas von Rio angekommen. Verheerend.

Spaziergang: Bachtöbleli – Roosetwaldrand – Steinbruch – um und über Rooset – Hochwacht – über Bachtöblei heim. 1h25‘. Kühl, Bise, Hügelkappen im Nebel. Nebelreissen, fiserle, Nieseln. Schlüsselblüemli an der Schiessstandbarriere.

Es hat wenig Autos und deutlich weniger Züge. (Da könnten wir als Kinder wieder ohne grosse Gefahr Zwanziger plätten auf den Bahnschienen: Hinlegen, im Graben Kopf auf Schienenhöhe, sehen wo er hinspickt (immer nach vorn, das Rad nimmt ihn mit, ähnlich wie die Steine, die in Australien von den Lastern kommen: immer von vorn), dann im Schotter die Münze suchen. Hohe Schule war dann, einen Zehner auf den Zwanziger legen und so einen Eindruck im flachen Münzstück erhalten.)

Fallzahlen Schweiz 12h: Positiv getestet (Der Bund veröffentlichte heute keine Zahl zu den bestätigten Fällen): 6113, Tote 56 oder 0.91%. (Bei den bestätigten Fällen war die Todesrate jeweils höher. Vgl. Fussnote 8 zum 18.3.). Ich habe jetzt am Schluss des Wochenberichts eine Tabelle eingefügt, in die ich zukünftig die Daten eintrage

Italien hat fast 800 Tote. An einem Tag!

Im Tessin sind die Menschen auch emotional nah an Italien, fühlen sich viele solidarisch. Wenn auch wohl nicht alle in Zeiten, wo allen Ländern das Hemd näher ist als der Rock.

Der Kanton Uri wird zurückgepfiffen. Das Ausgehverbot muss rückgängig gemacht werden, der Bund hat anders entschieden. Allerdings erst nach Uri, das vorgeprescht war. Hier muss immer wieder die Balance gefunden werden zwischen lokalen Initiativen und zentralen Massnahmen. Aber das ist nicht schlecht so. Es kann sich etwas entwickeln.

Die Eishockey-WM, die in der Schweiz im Mai hätte stattfinden sollen, ist abgesagt. Endlich. Was haben sich die wohl gedacht?

Die Bauern haben zu wenig Erntearbeiter (s.o.). Nun wollen sie Leute rekrutieren, die in anderen Bereichen freigestellt werden mussten. Ob das klappt? Das sind schon ganz andere Arbeiten. Aber an sich hat die Idee was für sich.

Daniel Koch, Krisenmanager des Bundes, sagt, von einer Abflachung der registrierten Neuansteckungen könne frühestens in einer Woche gesprochen werden. Das wäre aber doch immerhin etwas.

Tag 9. Sonntag, den 22.3.

Gestern Nachmittag haben die Dorfkirchen um 16h den Sonntag eingeläutet, aber heute Morgen fehlen die Glocken, die den Kirchbürgen den Gottesdienst eine Stunde vorher ankündigen und sie dann mit vollem Geläute rufen. Der Gottsdienst fällt aus, und für allfällige Videoübertragungen sind SMS wohl zielführender als Glocken.

In der Sonntagszeitung der NZZ gibt es natürlich nur ein Thema. Von hinten und von vorn, von oben und von unten,

von der linken und der rechten Seite. Sind die 42 Mia, die der Bund spricht, genug oder müssten es mehr sein? Wann kommt ein Medikament und von wem? Von Roche vielleicht? Testen wir genug? (Einmal mehr!) Kommt eine zweite Welle im Herbst? Droht eine Ausgangssperre? Wie lange dauert die Schliessung der Schweiz, der Lockdown? Werden in Zukunft noch alle CV-Patienten behandelt? Berichte über die erste Woche in Schulen und Spitälern.

Trump und Bolsonaro werden beschimpft, Merkel gelobt. (Merkellob in der NZZ ist bemerkenswert, wird sie doch sonst – als Marktstrategie der NZZ, die unter Chefredaktor Gujer den deutschen Markt erobern will – nur ausgeschimpft.)

Nichts Neues also. Interessant, dass wir pro Kopf praktisch gleich viel testen wie das hochgelobte Südkorea. (Das entspräche auch, wie oben am 6.3. festgestellt, dass die Zahl der Todesfälle analog ist.)

Mathias Wiesmann, ein Schul- und Studienfreund kritisiert diese Rechnereien in seinen Gedanken zur CV-Geschichte einleuchtend: „Derzeit werden wir von Zahlen überschüttet. Der Erkenntnis und einem vernünftigen Urteil dienen sie nur sehr beschränkt. Dies beginnt bei der Zahl Infizierter und endet bei der Zahl der ‚Corona-Toten‘. Unsinn entsteht spätestens dann, wenn ein Quotient errechnet wird: Sterbequote gemessen an der Anzahl Infizierter. Infiziert ist, wer positiv getestet worden ist. Steigt die Anzahl Infizierter, hat das vor allem damit zu tun, dass mehr Testmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So sinkt die Sterberate, wenn mehr getestet werden kann. Mit der Gefährlichkeit des Corona-Virus hat das wenig zu tun.“ Er hat wirklich Recht, und ich hatte ja schon ähnliche Zahlen bezüglich gemeldete und bestätigte Fälle. Aber ich liebe Zahlenspielereien. Daher werde ich sie fortsetzen, im Bewusstsein ihrer beschränkten, sehr beschränkten Aussagekraft.

In Italien sterben weiterhin fast 10% der registrierten Erkrankten. 4800 von 53‘000. „Forscher meinen“, so die Zeitung, dass ein Grund dafür die allgemein grössere menschliche Nähe der Bevölkerung sei. Was Forscher nicht so alles meinen, wenn der Tag lang und die Zeitungsspalten leer sind. Seien wir doch froh, wäre ein Schluss, dass wir in einem emotional eher kalten Land leben.

Das Tessin schliesst für 5 Tage praktisch die ganze Industrie, das ganze Gewerbe. Nur was für die Versorgung wichtig ist (Medizin, Lebensmittel, Sicherheit), kann offen bleiben. Die Senioren dürfen nicht mehr einkaufen gehen. Ein Alleingang auch hier. Das trifft natürlich auch viele Grenzgänger. Erhalten auch sie finanzielle Unterstützung? Und wird der Bund diesen Alleingang prestieren?

In den Städten mit Ausgangssperren verbessert sich kurzfristig die Luft. In Italien sank der NO2-Belastung (Sickstoffdioxyd) um rund 50%.[1]

[1] Pinocchio Dubs hat mir in diesem Zusammenhang einen interessanten Link über China geschickt: https://www.livescience.com/coronavirus-changes-pollution-over-china.html. Er hat unseren Google-Blog gefunden unter https://coronaland-jb-2020.blogspot.com/.

Spaziergang: Bachtöbeli – Rehhofhalde – Wiezikon – Wies – via Weiher und Didi (Gemüse- und Obsteinkauf) nach Hause. 1h Vollgas, starke Bise, aber aus der Bodenseeregion langsam sonnig.

Das Dorf ist sehr ruhig, auch mit Autos.

Ich habe die ersten beiden Teile des Tagebuchs verschickt. Und das als Blog gemacht, damit es einfacher ist für die Kundschaft. Nun spinnt der aber, die Leute können ihn nicht öffnen. Nervig, ich weiss nicht warum. Daher habe ich den Versand noch per PDF nachgeschossen. PDFs muss ich eh machen, da die Freunde in China Google-Produkte nicht öffnen können. Was mich freut, sind die vielen Echos, die ich bekomme. Bisher nur positive – da muss ein guter Filter drin sein.

Eben haben wir mit dem ganz praktischen App „Zoom“, mit dem Videokonferenzen von guter Qualität für 40‘ gemacht werden können (danach stellt es ab, man kann aber wieder von Neuem beginnen), ein Gruppengespräch mit Edelmanns: Rita und Xaver in Falera, Céline und Severin in Urnäsch, wir hier. Es lief super, eine ganz neue Erfahrung. Wir werden uns daran gewöhnen können, müssen.

Jetzt machen wir ein Feuer und braten uns was: Kartoffeln, Gemüse, Fleisch. Dazu etwas Wein. Gut für Körper und Geist.

Im Antwortmail auf das Tagebuch schreibt die Nachbarin, dass sie im Mai ein Kind bekommen werden. Ein richtiger Aufsteller!

Sind wir jetzt nach einer Woche der Hektik im CV-Alltag angekommen? Wir werden das morgen sehen.

Wir haben dieser Tage unsere Menagerie wieder rausgelassen in den Garten. Nachdem ich schon vor zwei, drei Wochen den Plastik-Fischreiher zur Abschreckung des lebendigen, der auf unsere Goldfische aus ist, aufgestellt habe (mit mässigem Erfolg), kamen jetzt noch der thailändische auf dem Rücken ruhende Holzfrosch, die weisse Holzziege und der Jägergartenzwerg OSB von Müller an die Luft. OSB hat nichts mit den Benediktinern zu tun. Aber nachdem der Zwerg zuerst nur Müller geheissen, musste er einen anständigen Vornamen haben: Ottokar Siegbert Bleibtreu, kurz OSB. Und dann halt noch geadelt.

Jetzt muss ich noch die Rosen decken, wir kriegen recht starken Frost. Fertig Frühling für ein paar Tage.

Tag 10. Montag, den 23.3.

Die Bahn hat nur noch 20% der Kunden verglichen mit vor kurzer Zeit. Sie fährt daher den Betrieb um 50% zurück. Das bei Intercity-Zügen, Regionalzügen etc. Nebenlinien werden ganz stillgelegt. Also werden abgehängte Regionen noch abgehängter. Soviel zum Thema Isolation in isolierten Zeiten. (Für uns, so scheint es gemäss elektronischem Fahrplan, ändert sich – vorerst wohl – nichts. Es bleibt beim Halbstundentakt)

Johnny Damman von über der Strasse rügt mich in seiner – elektronischen, versteht sich in diesen Nachbarschaftszeiten – Reaktion auf das Tagebuch. Ich habe Marx falsch zitiert habe: Es heisst „Dixi et salvavi animam meam“ und nicht „...aninma mea“. Scheiss-Google, da hat er es rausgefunden, als er sich über den Zusammenhang schlau machte. Er gibt mir daher nur einen Viereinhalber. Recht hat er! (Elo schimpft mich in diesem Zusammenhang aus: „Da wetterst Du gegen Anglizismen und zitierst Latein, das eh fast niemand beherrscht.“ Sie mag ja recht haben, aber zitieren ist doch ein wenig anders. Ich rede ja nicht Latein im Alltag.)

Wir haben unserer Haushilfe Lumka bis auf weiteres abgesagt. Das fällt uns nicht leicht, denn sie ist neben aller Unterstützung, die sie uns gibt, auch immer ein Aufsteller, wenn sie kommt. Aber vielleicht brauchen wir sie ja noch für das Einkaufen usw. Je nachdem, was noch kommt.

Die Zahl der Ansteckungen steigt schneller als die der Toten. Wird sich das ändern, wann?

Der Gewerkschaftsbund hat alle 1. Mai-Kundgebungen abgesagt. Alternative Formen würden geprüft.

Der Gewerkschaftsbund fordert auch, alle Baustellen im ganzen Land zu schliessen. Dies sei zum Schutz der Arbeiter nötig.

Unter Druck stehen die Kitas. Sie haben weniger Kinder, aber gleich viel Personal. Ausserdem hat z.B. der Kanton Baselstadt die Eltern informiert, sie müssten die Beiträge nicht mehr bezahlen. Was für die Kitas positiv ist, ist dass sie nun stärker als für die Gesellschaft wichtig genommen werden.

Die Fachleute rechnen mit der Zunahme häuslicher Gewalt, da unter den Einschliessungs- und Abschliessungsmassnahmen die Beziehungen in den Familien verstärkt unter Druck kommen.

Bei uns zwei stimmt das ungefähr. Es ist aber wohl etwas ernster in vielen Fällen.

Pfadifreund Ali Koller, ein praktischer Arzt, stellt fest, dass ich den Boris in London nicht mag. Recht hat er. Aber dass ich ihn „hasse“ weise ich zurück. Zu gross ist da meine Beisshemmung was diesen Begriff betrifft. Nicht mögen, verachten, ablehnen – all das geht. Hass geht nicht, gar nicht. Höchstens mir selbst gegenüber, wenn ich merke, dass ich mich nicht verhalte, wie ich es von mir erwarten würde. Kommt durchaus vor!

Aber Ali meint mit Recht, dass wir nicht vorschnell urteilen sollten, wenn Meinungen vertreten werden, die nicht mit unseren übereinstimmen. Auch wenn sie von Boris oder Köppel kommen sollten. Vorurteils prüfen, was wir sehen, ist in dieser Zeit wichtig. Aber dann auch urteilen, ablehnen, verurteilen.

Vielleicht wären die von Johnson zuerst intendierten Schritte vielleicht doch nicht ganz blöd gewesen. Allerdings muss er sich jetzt mehr und mehr dem öffentlichen Druck beugen und sich dem anschliessen, was überall gemacht wird auf der Welt. Am Abend im TV: Grossbritannien hat nun 300 Tote im Zusammenhang mit CV. Jetzt werden die Beizen geschlossen

Ali hat mir auch den Link eines sehr guten Artikels des St.Galler Infektiologen Pietro Vernazza geschickt, den auch Elo sehr schätzt: http://infekt.ch/2020/03/neues-verstaendnis-der-covid-19-epidemie/. Ali meint auch, dass für gesunde Alte das Risiko nur minim grösser sei, aber aus Solidarität der Abstand gehalten werden müsse.

Spaziergang: wie an Tag 4, 17.3., aber andersrum und mit kleinem Schlenker am Rosenberg. 1h20‘.

Es ist wunderbares Wetter, aber eine Saubise. Ich musste festere Schuhe anziehen, da der Wind quer durch die Turnschuhe fegte. Elo nimmt das Wetter sehr persönlich. Jeden Windstoss einzeln. Ich bin da etwas abgebrühter, ärgere mich über Umstände weniger. Ausser es nervt mich was.... Das soll ja vorkommen. Elo kann sich auch nicht mit den guten Ratschlägen des Jesuiten und Zen-Meisters im Radio trösten. Ich brauche sie nicht, denn ich ticke eh wie ein solcher.[2]

[2] Das hat nichts damit zu tun, dass ich im Ausland immer, wenn ich mich religiösen Anforderungen entziehen wollte, gesagt habe, ich könne das und das nicht, weil ich Zen-Buddhist sei. Ich muss mich wohl nach einer anderen Ausrede umsehen, wenn die Kerle jetzt schon im Mittags-Journal des DRS kommen.

Tifig Züst, mein „Junger“ aus der Thurgovia Frauenfeld, den wir vor einem Jahr in Nairobi besuchten, sitzt in seinem Haus neben der Kanti und ist allein. Auf unbestimmte Dauer. Seine Partnerin Priscilla ist nach einem Ausflug nach London wieder in Nairobi (einer der letzten Flüge). Sie schauten zu ihren Häusern, als für Tifig wie aus dem Nichts der Laden runterging, und er nicht mehr zurück konnte. Vor vierzehn Tagen hätten wir uns sowas gar nicht vorstellen können/wollen. Und jetzt ist es Realität, wenn auch noch nicht Alltag.

Maomi und Bangying, unsere chinesischen Familienmitglieder, scheuen sich zurzeit, rauszugehen. Sie kaufen nur ein, wenn es sein muss. Sie wurden schon vor Monaten, als es noch (zu?) viele chinesischen Touristen in Schaffhausen gab, gemobbt, indem zum Beispiel Marktfrauen beim Einkauf einfach die hinter ihnen Anstehenden bedienten und sie übergingen. Also versuchen sie, auch im Hinblick darauf, dass uns Alten das Einkaufen verboten wird, auszuloten, wie das mit dem online-Einkauf geht, im Coop, wo er besser ausgebaut ist als in der Migros. Sie füllen den Warenkorb – und erhalten keinen Liefertermin. Als sie einen für in 10 Tagen (!) hatten, versuchte Maomi mit der Kreditkarte zu bezahlen, statt auf „Rechnung“ zu tippen. Als sie damit soweit war, war der Termin wieder weg und kam nicht wieder. Alles ist da offenbar übelastet. Wie das dann bei einem Einkaufsverbot gehen soll, ist schleierhaft.

Cousine Ulla wundert sich, was das Fernsehen noch für Werbung zeigt. Menschenhaufen noch und noch, Grillpartys. „Die dürfen feiern, wir nicht“, meint sie. Entweder sind sie der Zeit voraus, was ich weniger denke, oder hinken hintennach, was wahrscheinlicher ist.

Einen anregenden Artikel habe ich auch von Charles Giroud weitergeleitet erhalten. Der Zukunftsforscher Matthias Horx stellt sich die Welt im September vor: https://kurier.at/wissen/matthias-horx-das-ist-ein-historischer-moment/400785341. Ich bin nicht mit allem einverstanden, mit einigem gar nicht. Aber anregend ist die Lektüre allemal. (Margrit Manz, eine Freundin aus dem Chinaverein hat mir den Link auch geschickt.)

Der Bund hat den Beschluss des Tessins zur Schliessung aller Baustellen etc. als illegal bezeichnet. Der Kanton Tessin sagt, das sei ihm egal. Mein Verdacht: Der Bund will verhindern, dass diese Massnahmen auf die ganze Schweiz übergreifen. Er versteht aber das Tessin. Deshalb rügt er, toleriert aber den Beschluss.

Und prompt reagiert die Justizministerin in dieser Richtung: Es könne Ausnahmen geben. Krisenfenster heisst der neue Begriff.

Die Spital Thurgau AG, die dem Kanton gehört, macht das, was ich früher angetönt habe: Er stoppt den seit Ende Februar laufenden Abbruch des alten Bettenhochhauses. Abbruch des Abbruchs.

Der Zivilschutz räumt wieder ein, was vor kurzem ausgeräumt wurde

Er hat Gas und Wasser wieder angehängt, die EDV dito. Die „normalen“ Patienten kommen wieder in dieses Haus. Sie brauchen ja weniger aufwendige Betreuung als die CV-Patienten. Für diese ist der Neubau. So gewinnt der Kanton 250 zusätzliche Betten. Auch das Kantonsspital Münsterlingen wird um 50 Betten aufgestockt. Das ist sicher besser als Kasernen nutzen zu müssen oder Zelte aufzustellen. Dass der Kanton das nicht darum tut, weil ich die Idee vor einigen Tagen zu Papier gebracht habe, davon gehe ich aus!

Beim Suchen auf dem Handy kam ich auf „Flight Radar“, das alle Flugzeugbewegungen weltweit aufzeichnet. Auf dem Flughafen Kloten waren 2 (zwei!) Flugzeuge anwesend (1840h).

Im Fernsehen Bilder von einem völlig leeren Paris, einem völlig leeren New York.

In Deutschland beginnt eine Versammlung mit einer Personenzahl von zwei, denn es ist ein Versammlungsverbot von über zwei Personen erlassen worden. Da war Tucholsky noch grosszügiger, als er meinte: „Wenn drei Deutsche zusammen kommen, gründen sie einen Verein und bringen der Natur ein Ständchen.“

Der CV-Alltag ist noch immer nicht angekommen. Es sei denn, ich hätte ihn nicht wahrgenommen, ich hätte nicht gemerkt, dass das Unalltägliche Alltag geworden ist.

Tag 11. Dienstag 24.3.

Nachbar Res weckt uns mit der Motorsäge. Er hat – um seinen eh schon sehr grossen Holzvorrat zu ergänzen –17 dicke Stämme gekauft, die er jetzt klein macht. Es wird ihn und uns einige Tage beschäftigen.

Der Versand des Blogs hat zur Folge, dass ich viele Mails aus den verschiedensten Himmelsrichtungen erhalte. Das führt zu einem regen Briefaustausch (meist kurze Mails, aber auch längere), bei dem ich kaum nachkomme, dem ich aber sehr gerne nachkomme. Es ist anregend. So anregend, dass ich die Bearbeitung eines Artikels für ein Buch, das wir mit der Gesellschaft für Schweizerische Gesundheitspolitik produzieren (Elo und ich sind die Herausgeber der Schriftenreihe der SGGP), dass ich diese Bearbeitung immer wieder rausschiebe. Aber wir haben Zeit.

Boris in England hat sich Europa angeglichen. Es gelten jetzt dort praktisch die gleichen Massnahmen wie in der EU, deren Mitglied es ja noch ist. Auch hier gilt: dem politischen Druck auszuweichen, ist sehr schwer.

In den Zeitungen geht die Debatte weiter, ob testen oder nicht und wenn ja (wofür ja alle irgendwie sind) in welchem Umfang, ob soziale Isolation oder nicht (heute ein grosser Gastbeitrag in der NZZ gegen die Isolation und für eine kontrollierte Infektion der Bevölkerung – von einem Professor für Theorie der Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik der auch als Glücksforscher bekannt ist...).

Und vor allem, ob und wie stark die Wirtschaft generell runtergefahren werden darf und soll, was die Kollateralschäden sind/wären.

In Europa praktizieren Schweden und Weissrussland das grösste Laisser Faire, während bei den verordnete Massnahmen Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, Serbien und Albanien am härtesten einfahren.

Der Druck auf das IOC, die Olympischen Spiele von Tokyo zu verschieben oder abzublasen wächst. Ein Verband nach dem anderen gibt seine Nichtteilnahme bekannt. Auch Shinzo Abe, der Permier von Japan, spricht nun von Verschiebung. Nur der Herr Bach in Lausanne zögert noch.

Das IOC in Full Äktschen!

Er wird sich dann irgendwann dem Druck und der offensichtlich höheren Gewalt beugen und so nicht schuld am Schlamassel sein, den er durch sein Zögern angerichtet hat. Ein in der Wolle gewaschener Sportfunktionär. Er war mal Fechter (Olympia-Gold), ist Jurist. Beides zeigt sich jetzt klar. Die Rückversicherer sind übrigens Opfer der Sache. – Am Abend ist es dann für Bach Sicherheit genug: Er verkündet die Verschiebung um ein Jahr. Er liess sich von der japanischen Regierung bitten...

In der Thurgauer Zeitung werden die berühmten betenden Hände von 1508 einem gewissen Friedrich(!) Dürer zugeschrieben. Latein hin oder her: O tempora, o mores! Frei übersetzt: Wo sind wir hingekommen?

Karikaturen bringen die Sachen oft besser auf den Punkt als es der Schreiberling kann:

In der NZZ von heute schreibt Niall Ferguson, dass die Verantwortlichen für den „Senizid“ an uns Alten, den sie durch Schlampereien verursachen, bei der Abrechnung zur Rechenschaft gezogen würden.

Mal sehen. Die Halbwertszeit des kollektiven Gedächtnisses der Menschen scheint in den letzten Jahren umgekehrt proportional zur gegenwärtigen Zunahme der Coronafälle abzunehmen. Trump&Cie. werden versuchen, baldmöglichst wieder eine andere Sau durchs Dorf zu jagen. Ob’s ihnen gelingt, wird sich zeigen.

Spaziergang: Kirche – Mühle – Murg in Büfelden – via Sirnach nach Münchwilen – via Sonneberg zurück. 1h10‘. Wunderschöne Sonne und Sauwind, kalter. (Heute früh war es auf dem Sitzplatz -5°)

Der Bund, sagt mir Elo, soll überlegen, eine Ausgangssperre ab 18h einzuführen. Uns würde das wenig treffen. Die Gemeinde Sirnach schreibt uns Alten, wir sollten möglichst zuhause bleiben und auch nicht selbst einkaufen. Wir wollen Brot, Gemüse und Fleisch in kleineren Geschäften, wo wir die Kontakte zu Dritten einigermassen steuern können, noch selbst holen, uns aber Einkäufe im Supermarkt überlegen.

In der Krise ist neben vielem spontanem Aufblühen der Solidarität und sozialen Kreativität eine Verluderung der kollektiven Sitten, vor allem der National-Sitten zu beobachten, wenn es National-Sitten überhaupt geben kann[3]. Zweigt doch z.B. Tschechien medizinische Hilfsmittel von einer Sendung für Italien, wo sie dringend gebraucht werden, für sich ab. Das wird in Europa Stimmung machen, wie anderes auch. Auch hier wird nach gehabter CV-Freude Einiges aufzuräumen sein.

[3] Schon Tucholsky meinte sinngemäss, Patriotismus und Nationalismus sei geschenkt, das brauche und wolle er nicht, aber in Heimatliebe stehe er diesen Brüdern in keiner Weise nach, im Gegenteil.

Freund Peti in Biel meint zu dem, was wir jetzt erleben, das sei halt der Preis für das „Freie Fahrt dem freien Bürger“.

Noch so einiges, was über den Tag reinkam: Damit genügend Spitalpersonal zur Verfügung steht, sollen die Quarantänevorschriften und die Arbeitszeitregelungen gelockert werden / Im Tessin könnte sich die Ansteckungskurve verflacht haben / die Ansteckungsdunkelziffer ist gemäss BAG hoch 7 in Italien gibt es ganz leichte Hoffnung auf Besserung / Weltweit geht es aber rund /
Schnapsbrennereien in England stellen auf Desinfektionsmittelproduktion um (ich dachte, das wäre das Gleiche), die Brauerei in Appenzell stellt ihren Alkohol zur Verfügung / Hubei und damit Wuhan gehen langsam zurück auf Normal / die Spitalschliessungsdiskussion in der Schweiz wird neuen Schub bekommen / Frauenfeld gibt das Parkieren frei, damit sich niemand an den Münzautomaten ansteckt / 27‘000 Gesuche um Kurzarbeit, 500‘000 Beschäftigte sollen bedroht sein / McDonalds schliesst nach Kritik an den Arbeitsbedingungen die Läden in der Schweiz („Happy Burger braucht zur Zeit kein Mensch“, sagten die Gewerkschaften)

International: Ungarn versucht via CS die Demokratie endgültig abzuschaffen. In Tschechien werden über Privatinitiativen in Heimindustrie Gesichtsmasken produziert, da der Staat überfordert ist. Indien erlässt die weltgrösste und allerschärfste Ausgangssperre: 21 Tage total; wie das in diesem Land funktionieren soll, ist mir schleierhaft. Da kommt noch was auf uns zu.

Markus Müller, ein Schweizer der seit Urzeiten in den USA lebt (jetzt in Seattle, früher in Florida), schreibt, es sei möglich, dass der Gouverneur des Staates New York, Couomo,, der seine Sache anscheinend gut macht, ein ernsthafter Herausforderer von Trump sein könnte (wie?). Ich antworte ihm zu unserer Sicht der USA u.a.: „Was die USA betrifft, ist das Land für uns mehr und mehr ein Buch mit wenn nicht sieben, so doch einigen Siegeln. Was im Kongress zurzeit abläuft, ist von hier aus gesehen völlig unverständlich. Hier wird über alle Parteien hinweg zusammen gerückt – manchmal fast zu viel. Der Bundesrat ist recht überzeugend, er verhinderte Panik. Das geschieht sogar in Italien, wo es wirklich drunter und drüber geht. Bei Euch scheinen Führungsfiguren wirklich zu fehlen, die über den Tellerrand hinaussehen und das auch noch vermitteln können. Euer Trumpf, der im Jassen beim Obenabe eine Sechs wäre, hat da ganz schön viel zerstört, die Medien (Fox!) halfen kräftig mit. Wenn Lügen bei den Chefs zur lässlichen Sünde wird (wir haben das in Europa (Ungarn, teilweise Deutschland...) auch so, sind wir nicht besser), ist es schlimm. Dass Evangelikale, von denen ich zugegebenermassen wenig halte, da mitmachen, ist mir schleierhaft, es sei denn ich halte mich an den Rat des Vaters eines Pfadifreundes: ‚Hütet Euch vor frommen Menschen.‘ Scheinheilig ist der Zwillingsbruder von Heilig.“

Vieles, an das wir uns nun gewöhnen, wird wohl hinterher nur schwer wieder wegzubekommen sein. Auflösung des Schutzes der Arbeiter und Angestellten. Sonntagsverkauf. Tele.... (Arbeit, Schule, Sozialkontakte, Einkaufen), Zerfall der supranationalen Solidarität, elektronische Überwachung. Anderes kommt leichter wieder in die alten Geleise: Rumsausen zu Land, Wasser und Luft z.B. Eben: Was hinterlässt die Tsunami-Welle nach dem Zurückfluten?

Tag 12. Mittwoch, den 25.3.

Die Zügeltermine Ende März dürfen wahrgenommen werden, sagte Bern am Montag. Am Dienstag hiess es dann, wohl auf Druck der Mieter, das sei dann der Fall, wenn alle einverstanden seien, Mieter, Vermieter, Hausverwaltung I (Abnahme alter Wohnung), Hausverwaltung II (Übergabe neuer Wohnung). Tohuwabohu im Bundesamt für Mietwesen. Was gilt nun, auch rechtlich?

Frankreich und Italien scheinen die an unserer Grenze blockierten medizinischen Hilfsmittel immer noch nicht freigegeben zu haben, meldet das Radio. Und in der Zeitung heisst es, das gelte auch für Deutschland. Der Grund sei hier, dass die Zollformalitäten nochmals gemacht werden müssten, was eine Woche dauere. Die Spezies Amtsschimmel ist wohl durch kein Virus umzubringen. Da sind wir von diesem Viech Geplagten anfälliger.

Zur Frage, was dann bleibt, wenn alles gewesen ist, meint Youval Noah Harari im Feuilleton der NZZ von heute: „Aber temporäre Massnahmen haben die Eigenheit, den Notstand zu überdauern, weil ja stets ein neuer Notstand droht.“ Notstandsregelungen auf Vorrat quasi, eine Tendenz die sich auch in der langsam anlaufenden Manöverkritik z.B. bezüglich der Spitalbetten andeutet. Dass die Vorratshaltung in den Kantonen nicht sauber geführt war, steht auf einem anderen Blatt.

Auf dem Feuer von Covid19 werden in den kommenden Wochen und Monaten noch allerhand Süppchen gekocht werden. Es gilt dann da genau hinzuschauen und hinter CV-Vorwänden die wahren Motive auszumachen.

Apropos Manöverkritik: Dass die Meldungen der Kantone an das BAG in unserem elektronischen Zeitalter noch per Fax geschehen müssen, ist schon etwas verwunderlich. Wird das dann dort abgetippt oder gar von Hand abgeschrieben?

Noch ein Nachtrag zum Bettenhaus Frauenfeld:

Pit Würmli war wegen einer leichten Streifung (gut gegangen!) einige Tage im neuen Spital Frauenfeld. Er hat dabei dem Anfang des abgebrochenen Abbruchs zugeschaut. Er erzählt – am Telefon, wie es sich gehört – dass der Altbau völlig mit Asbest verkleidet ist! Fröhlicher Abbruch, kann man da nur sagen. Sprengen unmöglich, die Platten nach unten fallen lassen ebenso. Jede muss sorgfältig behandelt werden, und der Schrott dann noch entsprechend entsorgt.

Spaziergang: Hofen- Hiltenberg – Höhenweg Eschlikon (wo die Eltern gewohnt haben für einige Jahre, in denen sie Sirnach untreu waren) – Eschlikon – Murg – Gemüse bei Didi – heim. 1h20‘. Saubise immer noch, und es trübt sich jetzt etwas ein nach Tagen blanken Sonnenscheins.

Die beste aller Ehefrauen, wie Kishon zu sagen pflegte, schimpfte ihren Alten unterwegs aus: „Du bist ein Schweizer und bleibst einer. Immer bergauf!“ Aber dann hat es ihr oben im Wald, wo wir vor dem Wind geschützt waren, doch gefallen. Und übrigens, was soll der Mensch hier in dieser Landschaft machen, die uns doch so gut gefällt: Eben ist es eben fast nirgends.

Bei allem Schimpfen auf die moderne Zeit mit aller Elektronik: Was wir ohne das Internet in dieser Zeit tun würden, ist buchstäblich nicht mehr vorstellbar.

Die Spitäler rufen dazu auf, sich Überlegungen zur Patientenverfügung zu machen. Wir haben schon lange so eine. Auch wenn wir finden, dass die Idee der Patientenverfügung wirklich mehr verbreitet werden sollte, da gemeinhin die Medizin dazu tendiert, nicht nur alles, sondern noch viel mehr zu machen, auch wenn es keinen Sinn macht, so ist es schon etwas makaber, sich vorzustellen, dass mit dieser guten Idee eigentlich nur die Engpässe in Spitälern etwas gemildert werden sollen.

Wir haben jetzt auch den ersten Todesfall im Zusammenhang mit CV im Kanton Thurgau. Dass wir die niedrigste Ansteckungsquote (statistisch!) der Schweiz haben, ist wohl, wie es die Kantonsärztin sagt, eher zufällig.

Der Bund und die Banken –Am Sonntagmorgen waren 300 Chefs an einer Telefonkonferenz dabei – geben nun die Kredite frei. Die kleineren bis 500‘000, für die die Eidgenossenschaft voll gerade steht, sind völlig zinslos, die grösseren, für die der Bund bis 85% Garantie gibt, kosten 0,5%. Gebühren gibt es keine. Und ab Morgen können die Kredite bezogen werden, Abwicklungszeit, wenn keine Überlastung am Anfang, 30 Minuten, Abzahlungszeit 5 Jahre. Auf ausführliche bürokratische Abklärungen wird verzichtet, das würde den Ablauf stören. Aber es sind bei Missbrauch Bussen bis 100‘000 Franken vorgesehen. CS und UBS wollen alle Gewinne, die sie damit machen, spenden.

Wir gehen den Möglichkeiten nach, via Internet einzukaufen bei der Migros. Diese bietet unter „Amigo“ einen solchen Service an. Was wir da leider nicht machen können, ist, eine bestimmte Person als die „Bringerin“, wie das heisst, zu bestimmen. Schade. Mal sehen.

Im Fernsehen wird berichtet, dass viele Parlamentarier eine Sondersession wünschen. „Viele Parlamentarier“, was ist das? Es erinnert an die berühmten Leserbriefe „Viele Wähler“. Es wird wohl ab zwei Stück zählen, analog dem Versammlungsverbot in Deutschland.

Im Radio wird ausführlich darüber spekuliert, warum wohl China und Russland Italien helfen. Aus bösem politischem Kalkül wohl. Die Italiener, die jede Hilfe brauchen können, kümmert das wenig. Und die anderen Länder sollen es erst mal besser machen. Elo meint, das was wir vom Bund aus als Entwicklungshilfe bezeichnen, sei ja auch nicht ganz selbstlos.

Und was in diesem Zusammenhang China betrifft: Alle Chinesen, ob kritisch zum Regime oder nicht, werden stolz auf diese Hilfe sein. Dass ihr Land, das vor gar nicht langer Zeit als der kranker Mann des Ostens apostrophiert wurde, sich das jetzt leisten kann, sich das jetzt leistet, begründet diesen Stolz.

Die Chinesen versuchen, die Wirtschaft möglichst schnell wieder auf Vordermann zu bringen. In Peking gibt’s schon wieder Staus.

Federer hat eine Million gespendet.

Was mir so durch den Kopf ging, als ich auf dem Spaziergang eine Frau mit Gesichtsmaske gesehen habe: Wie ist das mit dem Verschleierungsverbot? Und vor allem im Tessin, wo das populistische Gesetz zuerst erlassen wurde? Da hätte wohl mehr Verschleierung auch nichts genützt.

Tag 13. Donnerstag, den 26.3.

Auch die Kantone wie ZH, BE, AG stellen Mittel bereit, vorab für Bürgschaften. Bei den Ostschweizern ist man noch nicht ganz so weit, da gibt es noch keine konkreten Angaben. Das braucht halt bei uns etwas mehr Zeit. Allerdings hat der Thurgauer Finanzdirektor Stark angekündigt, den Rechnungsüberschuss 2019 für solche Fälle bereitzuhalten. Es waren 20 Mio, SG hat noch viel mehr.

Neun von zehn Taxifahrten fallen jetzt aus.


Ansteckungsgesichert auf Kunden wartend

Donald Trump verspricht, bis zu Ostern sei alles wieder gut. In weiten Teilen des Landes werde wieder Normalbetrieb herrschen. Er hofft wohl – abgestimmt mit den Evangelikalen – auf eine wunderbare Auferstehung. Und wenn das Land im Sarg bleibt, hat er die Prophezeiung nie gemacht. Sure! Die Halbwertszeit der Wahrheit einer Aussage (s.o.) tendiert bei dem Herrn gegen Null.

In der NZZ ein Artikel von Thomas Fuster zu den wirtschaftlicher Sünden der Vor-Corona-Zeit. Analog zur Finanzkrise 2008, als die Sünden der Finanzwirtschaft hervorkamen (kein Reserven), werden nun die Sünden der sogenannte Realwirtschaft deutlich: Schneller Profit und „Auslagerung von Kostenblöcken, Lean Production war angesagt, Just-in-Time Produktion und was der Beratungsfirmen modische Begriffe mehr sind, hinter denen sich dann unschöne Dinge verstecken: Keine Lagerhaltung mehr, und in wenigen Tagen Krise steht alles still, Auslagerung der Produktionsvorstufen an Dritte, in Drittländer, und schon passiert das Gleiche. Die fehlenden Grundstoffe für die Heilmittelproduktion, die aus China oder woher auch immer kommen sollten, sind beispielhaft. Dann: Keine Finanzreserven, da die Mittel für Boni und Tantiemen verpulvert wurden.

Hohe Renditen und keine Reserven – wer ausser den Profiteuren versteht das? Quartalsergebnisse sind wichtiger als der Bestand der Firma. Und schon schreit Boeing nach Hilfe. Wer zahlt es? Die Allgemeinheit.

Aber auch hier bin ich nicht sicher, ob wir lernfähig sind. Wenn der Sturm vorbei ist, werden die Absahner schon wieder Druck machen.

Die SBB hat die S35 Wil-Winterthur eingestellt. Der Halbstundentakt ist aufgehoben. Aber auch in den stündlichen Zügen nach Brugg sehen wir von aussen nur wenig Leute. Ebenso auf Stundentakt umgestellt ist die Frauenfeld-Wil-Bahn. Und die Nachtzüge fallen alle aus.

Keller-Sutter benutzt die Zeit, um das Asylrecht zu suspendieren. Ein allgemeines Menschenrecht. Damit setzt sie die Linie, die sie schon als Justizdirektorin des Kantons St.Gallen gefahren hat, wenn nicht nahtlos so doch stringent fort.

In Frankreich ist das Zentrum der Erkrankung das Elsass, wo die medizinischen Infrastrukturen stark überlastet sind. Das lässt für die Region Basel nichts Gutes hoffen. Für das ganze Land wurde erlassen, dass die Leute noch eine Stunde pro Tag im Freien Sport treiben dürfen, und das nur im Umkreis von 1,5km vom Wohnort.

Spaziergang: Über den Steinbruch zum Luttenberg – Gupfen – Murg bis Öliweiher –via Fischfrau nach Hause. 1h20. Bedeckt, Saubise. Sehr ruhig, keine Flüge, wenig Züge, wenig Autos und Velos.

Das Parlament wird im Mai eine Sondersession fahren. Im Messegelände der BEA in Bern statt im Bundeshaus, damit sich die Damen und Herren nicht zu nahe kommen. (Das wäre auch sonst gar nicht so schlecht; so könnte einer wie Blocher nicht für den Kollegen den Abstimmungsknopf drücken.) Wer über 65 ist, darf nicht mehr teilnehmen. Das finde ich schon happig. Sind wir denn zu gar nichts mehr nütze?

Elo meint, sie sehe ja ein, dass Risikopopulationen – und das sind wir Alten halt nun mal – besonders geschützt werden müssen. Aber sie fühlt sich doch ständig diskriminiert. O-Ton: „Man war doch mal jemand, und jetzt ist man nichts mehr.“ Ich frage mich, wofür sie uns denn eigentlich retten wollen.

Ich fühle mich penetrant an das seit Jahren andauernde Gejammer erinnert, wir Alten würden auf Kosten der Jungen leben. Haben wir denn nichts getan, nichts beigetragen zum aktuellen Wohlstand? Und würden wir nicht auch jetzt unseren Beitrag leisten, liesse man uns nur tun? Es ist absolut beschissen, sich als überflüssig zu fühlen. Auf diese Art Fürsorge könnte ich leicht verzichten. Wir könnten ja die Zeitungstexte auf Schreibfehler gegenlesen, es würde ihnen gut tun!

Und es ist schon frech, wie locker die Begriffe „Risikopopulationen“ und „Risikopatienten“ gemischt werden. Alter als Krankheit?

So, jetzt ist es mal raus, und ich bin wieder ganz brav, denn ich weiss, dass auch ich andere anstecken kann und das nicht tun soll.

Apropos: Dr. Ruth, die Soziologin, die als erste in den USA breit öffentlich über Sex geredet hat (Westheimer hiess sie: https://de.wikipedia.org/wiki/Ruth_Westheimer) hat uns einmal in einem Vortrag am Managed Care-Kongress in Atlanta erzählt, die Eskimos hätten die Alten, wenn sie der Gemeinschaft zur Last gefallen seien, auf ein Eisplatte gesetzt und ins Meer verfrachtet. „We ship them down to Florida.“ (Wir schicken sie nach Florida.) Und wir werden jetzt unter Hausarrest gestellt. (Westheimer hat übrigens als jüdisches Mädchen den Holocaust in der Schweiz überlebt, wo sie vor der Ausreise nach Palästina eine Hauswirtschaftsausbildung in Herisau machte.)

Die Verwaltungen melden, dass jetzt in einer Woche 12‘000 Arbeitslose neu gemeldet wurden (vielleicht sinkt die Zahl mit den Krediten wieder und die Leute können zurück in die Anstellung). Jeder 9. Arbeitsplatz ist von Kurzarbeit betroffen. Zum Glück funktionieren unsere politischen und Verwaltungssysteme. In den USA gibt es 3.3 Millionen Arbeitslose, Tausende Prozent mehr als vor kurzem.

Die Zahl der Tests wird in der Schweiz weiter hochgefahren. Im Tessin werden 4 ambulante Zentren aufgebaut.

Die G20-Staaten wollen fünf Billionen $ aufwerfen für die Folgen von Corona. Wie zählen die das? Sind z.B. die 2 Billionen der USA da drin oder ist das zusätzlich?

Der Bund holte bisher 1400 Touristen ins Land zurück. Bis im April sollen es 3500 sein.

Die Hauslieferung von Migros hat Wartezeiten von 2 Wochen. So können wir wahrhaft nicht planen. Daher helfen wir uns selbst. Mit Hilfe von Lumka, unserer zurzeit beurlaubten Haushalthilfe (Urlaub ist in ihrer Entschädigung vorgesehen!). Ich entwickle über die Webseite der – eben nicht funktionierenden – Migros-Einkaufsplattform Amigos ein eigenes Formular, mit dem wir bei Lumka dann bestellen können.

Als ich auf der Migros-Webseite die Einkaufsplattform mit unserem Cumulus-Konto verknüpfte, war ich platt. Ich konnte nicht nur den letzten Einkauf lückenlos abrufen, sondern auch die von uns während der letzten Zeit gekauften Artikel bis hin zum gläsernen Teekrug. Was die nicht alles wissen von uns. Da wird einem trümlig.

Um 8h abends läutet die Kirche Vollgas. Warum? Früher, d.h. vor zwei Wochen, hätten wir uns diese Frage nicht so gestellt, wir hätten es einfach bimmeln lassen.

Die Vorratshaltung von Bund und Kantonen wird in den Medien oft kritisiert, die Pflichtlager seien nicht genügend gewesen. Es mag da Schlampereien gegeben haben. Aber Elo erinnert sich, dass in der Sars-Zeit grosse Reserven am Medikament Tamiflu gelagert wurden, die wir dann nicht brauchten. Und das wurde dann stark oder hämisch oder beides kritisiert, oft mit Seitenhieben auf den Produzenten Roche, der sich eine goldene Nase verdient habe.

Vorratshaltung für Maximalereignisse ist sowohl kaum sinnvoll planbar als auch heikel, denn Vorratshaltung kostet. Vorräte müssen gewartet und ersetzt werden. Ein mittlerer Vorrat gekoppelt mit flexibler Organisation ist wichtig. Wir werden in den Monaten nach Covid19 zum Beispiel in der Diskussion um Spitalbetten sicher auf das Thema zurückkommen. Und dann hier auch bedenken müssen, dass Betten, die aus Personalmangel nicht adäquat betrieben werden können, nicht viel nützen.

Tag 14. Freitag, den 27.3.

Jetzt sind wir also zwei Wochen dran. Und noch sicher drei Wochen so, denn bis zum 19.4. ist die gegenwärtige Phase geplant. Sie könnte leicht noch länger dauern, denn der Chef der Armee sprach gestern vom Höhepunkt im Mai. Sein Wort in Gottes Gehörgang! (Er machte einen guten Eindruck, kommt selbst aus der Sanität, die ja jetzt vorab gebraucht wird.)

Rotweinreserve aufgefüllt. Dito Brotvorrat (wir kaufen schon immer jeweils acht runde ruche Halbpfünderli in der Dorfbäckerei in Wiezikon und frieren das Brot dann ein.) Auf der Fahrt dahin sahen wir – heute ist Sammeltour für Güsel – jede Menge Abfallsäcke vor den Häusern. Da wird wohl eben viel geräumt. Nutze die Zeit.

Raffkes on Tour: Wer meldet sich für Kurzarbeit? Die Orthopäden in Frauenfeld. Sie haben nur noch 60-70% Umsatz. Die Armen. Mir kommen die Tränen! Was haben sie denn in den letzten Jahren anderes getan, als finanzielle Reserven gebildet, die ihnen doch locker über ein paar Monate hinweghelfen müssten. Und wie, wenn diese Spezies Mann/Frau nicht mit den 60-70% ebenso locker über die Runden kommen würde. Denn gerade ihre Tarife sind hoch, sehr hoch, zu hoch. Könnten sie de überlasteten Allgemeinpraktikern helfen?


Arztpraxis im Verarmungsmodus

Das erinnert mich an die Banker, die den Kanal nicht voll bekommen können und über den Missbrauch der Firmenkreditkarte für Kinkerlitzchen wie private Essen stolpern. Wer schon sehr viel hat, der glaubt Anrecht auf noch mehr zu haben, und wenn es nur Weniges ist. Wer es dann bezahlt, das ist ja wurscht.

„Der Kontakt mit Kunden ist mir sehr wichtig“, lässt der Chef unserer Kantonalbank im Werbemagazin „für den Thurgau“ schreiben. Er wird das vor einigen Wochen in die Feder diktiert (bekommen) haben. Jetzt wird auch er physisch schwieriger zu erreichen sein. Oder dann mindestens auf 2 Meter Distanz.

Es ist überhaupt amüsant, was jetzt so an Werbematerial reinflattert oder am Bildschirm zu sehen ist. Produziert in guten alten Zeiten, also vor mehr als zwei Wochen, und jetzt völlig daneben. Die Mehrheit der Bilder in der erwähnten Werbeschrift der TKB könnte problemlos vom BAG für eine Broschüre „So nicht“ verwendet werden. Die fröhliche Nähe entlarvt sich unter jetzigen Umständen leichter als gestellt.

Den Zeitungen brechen die Inserate galoppierend weg. Sie werden dünner, Rubriken werden gestrichen, Bünde zusammengelegt. Ob das in der Nach-CV-Zeit wieder kommt? Könnte ich in einer zukünftigen Pandemie immer noch solche Zeitungsausrisse fotografieren. Ich fürchte, nicht.

In Ländern, in denen die Chefs die Lage noch nicht begriffen haben, packen andere den Corona-Stier bei den Hörnern. Neben dem erwähnten Bürgermeister von New York, Cuomo, ist es sein Amtskollege Sobjanin in Moskau und – die Mafia in den Favelas von Rio de Janeiro (in denen Hunderttausende leben).

Der Bund befreit Lieferungen von medizinischen Gütern an ihn und an die Kantone vom Einfuhrzoll.

Die EU will Italien helfen, wenn diese auch noch mehr brauchen könnten.

Spaziergang: Der Bahn entlang bis zum Durchlass bei den Eschliker Ziegeleiweihern, zur Murg runter, bis zum Tennisplatz – heim. 1h. 6km. Schön und wärmer, ein Vergnügen.

Für freiwillige Arbeit im Zusammenhang mit Covid19 haben sich bisher 32‘000 Leute gemeldet.

Boris, der Gute, der bis vor ganz Kurzem recht nonchalant mit Abstandhalten, keine Hände schütteln und so umgegangen ist, ist solidarisch mit dem in Schottland sitzenden Thronfolger. Es hat auch ihn erwischt. Er hat sich angesteckt, zeigt aber, so sagt er, zum Glück nur leichte Symptome. Esel, der er ist, wünsche ich ihm doch nichts Schlechtes.

Der private Konsum breche zusammen, klagt die Wirtschaft (die ganze, nicht nur die Beizen). Wen wundert‘s? Wo sollen wir den Pulver ausgeben. Nur per Post – die in diesen Tagen Rekordmengen an Päckli versendet –, und das ist dann auch begrenzt, vielleicht sogar durch die begrenzten Lager der Versandhäuser, die ja den Plunder auch irgendwoher haben müssen.

In Siegershausen auf dem Seerücken soll der Bahnhof umgebaut werden. Dafür wird der Zugsverkehr bis Mitte April stillgelegt, Bahnbus. Jetzt wird nicht umgebaut. Aber es sei zu kompliziert die Stillegung wieder rückgängig zu machen. Also steht die Bahn, und es steht der Bau. Passagiere, die sich drüber aufregen könnten, hat es jetzt eh fast keine.

Im Aargau wird ein Drive-in-Gartencenter betrieben, damit die Gärtnerei die Setzlinge nicht vernichten muss.

Südkorea, das so gelobt wird für die vielen durchgeführten Tests, ist völlig locker, was die Abstands-Regelungen betrifft. Die Beizen sind offen und voll, Mann an Mann, Frau an Frau, Frau an Mann.

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Die Daten:

Datum

Erkrankungen

Diff. Vortag

Verstorben

Zunahme

Sterberate %

Diff. Vortag

21.3.

6113


56


0,91


22.3.

7014

+901

60

4

0,86

-0,05

23.3.

8060

+986

66

6

0,81

-0,05

24.3.

8836

+776

86

20

0,97

+0,16

25.3.

9765

+929

103

17

1,05

+0,08

26.3.

10714

+949

161

58

1,50

+0,45

27.3.

12161

+1447

197

36

1,62

+0,12

(Die Todesraten dürften, wenn die Ansteckungsrate mal runter geht, stärker steigen, sie hat quasi Nachholbedarf. Ausserdem sind die Zahlen wohl nur auf die Länge aussagekräftig, was sich daran zeigt, dass das BAG, auf das ich mich weiter stützen will, als langsam verschrien ist (vieles von Hand!), z.B. von einem Doktoranden in Bern, der selbst sammelt, von der Johns Hopkins-Universität in den USA oder auch vom Statistischen Amt des Kantons Zürich, wo die Tochter von Cousine Ulla, Silvia, als Soziologin arbeitet.)

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So das wäre die zweite Woche der Reise ins Coronaland gewesen. Zur Reise in ein Land gehört ja in der Regel auch eine Ausreise. Wie die wohl wird?

Zu den Begriffen: Abstand ist heute Anstand.


Nachbar Res hat die 17 Stämme kleingemacht. Die Motorsäge wird uns fehlen.

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27.3.2020/JB.

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11. Woche und Rückkehr