Sonntag, 15. März 2020

Es baut sich auf – die Vorgeschichte

Reise ins Coronaland/1

2020: Ein etwas anderes Reisetagebuch

Dieses Jahr haben wir keine grosse Reise geplant, 2019 war mit fast 5 Monaten Übersee umfassend und anstrengend genug. Zum Glück, denn es wäre wohl nichts geworden. Covid19 hat zugeschlagen. Aus dem Reisen nach aussen wird es jetzt eine Reise nach innen. Und da ich gewohnt bin, über unser Reisen zu berichten, will ich daran festhalten und den Alltag auch schreibend bewältigen. Aus subjektiver Sicht. Und um mir klar zu werden, was wir gerade erleben. Elo liest gegen und bringt ihre Gedanken, die ich dann verarbeite, im Gespräch ein – JB.

Es baut sich auf – die Vorgeschichte (15.3.)

Januar bis Februar

Wir erholen uns langsam von den Strapazen unserer zweieinhalb monatigen Lateinamerikareise, als wir auf ein Virus aufmerksam werden, das in Hubei/China ausgebrochen ist. „Neuartiges Coronavirus“ heisst es, und ich rege mich über die Penetranz auf, mit der das „neuartig“ immer in den Medien genannt wird. Gebetsmühlenartig scheint es mir, Aber Elo klärt mich auf, dass es Coroanviren schon länger gibt und dieses halt neu sei. Sei’s drum, wir würden uns daran gewöhnen.

So richtig ins Blickfeld kommt Covid19, als China nach längerer lokaler Schlamperei in Wuhan plötzlich massiv reagiert: Wuhan und Umgebung werden grossflächig isoliert und stillgelegt. Was das heisst, können wir uns nicht so recht vorstellen, aber immerhin kommt der Verkehr zum Erliegen, die Strassen sind leergefegt und die Einwohner bleiben zu Hause, sei es weil sie diszipliniert sind, sei es weil sie Angst um ihr Leben haben. Die Erfahrungen aus der Zeit von SARS (2002) und Vogelgrippe (2013) wirken nach.

Für mich scheint Chinas Regierung eher zu überreagieren, aus Angst, von der Bevölkerung dafür abgestraft zu werden, falls sie auf den regionalen Pfusch nicht mit aller Energie reagiert. Aber auch hier gilt sicher, dass Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist.

Dann rückt uns die Sache aber näher.

In Japan strandet ein Kreuzfahrtschiff, und ich erinnere mich an meine Infektion auf der Kreuzfahrt von Bali nach Hawaii, die ich mit der zentralen Klimaanlage (nicht individuell abstellbar) ab Australien nicht loswurde bis ich dann in Hawaii an Land ging, und die sie auf dem Schiff in Windeseile ausgebreitet hat. Dass das Schiff und die japanischen Behörden so unprofessionell reagieren, steht auf einem anderen Blatt: Alle werden an Bord behalten (Klimaanlage s.o.), die Erkrankten werden nicht isoliert, die Crew weiss lange nicht, wer angesteckt war und wer nicht. Und am Schluss können die Passagiere plötzlich ausreisen, auch wenn nicht alle getestet sind. Hauptsache, weg aus Japan. Das hätten sie früher haben können.

Und dann ist Covid19 in Europa. Ein wenig in Deutschland, wo es in Bayern schnell unter Kontrolle scheint. Und im Februar massiv in Norditalien, an unserer Südgrenze. Die Italiener reagieren zwar, aber da ist es schon zu spät. Das Tessin wird Ende Februar ein neuer Infektionsherd. Und in ganz Europa steigen die Ansteckungszahlen massiv. (Den Zahlen glaube ich nur teilweise. Geringe Infektionsziffern können auch in geringen Testzahlen ihren Grund haben – England als Beispiel oder die USA. Wir werden es erst im Nachhinein sehen.)

Für die Schweizer Bevölkerung sei das Risiko „moderat“, so das Bundesamt für Gesundheit am 24. oder 25.2., es werde weitere Fälle zwar geben, aber das Gesundheitssystem sei vorbereitet. Die Schweiz stehe in erhöhter Bereitschaft, sie beurteile die Situation von Stunde zu Stunde.

Und dann geht es richtig los.

März: Vom Thema zum THEMA

Ab Ende Februar überrollt Covid19 alles.

28.2. erlässt der Bund auf der Basis des Epidemiengesetzes erste Massnahmen. Er kann das, denn das Gesetz von 2010 und in Kraft seit 2016 ist gut.[1] Es erlaubt auch Eingriffe von Bern in die Kantonshoheit, der heiligsten der heiligen Kühe in unserem Land.

----------[1] Nicht auf der Höhe der Anforderungen ist die Pflichtlagerung von medizinischen Gütern. Die zuständige Kommission wurde vor wenigen Jahren aufgelöst, die Kontrollen erfolgten nicht richtig. So fehlt es an wichtigen Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln. Da werden wir nachbessern müssen.

Der Bundesrat verbietet Veranstaltungen von über 1000 Teilnehmern auf allen Gebieten, Veranstaltungen von über 150 Personen brauchen eine kantonale Bewilligung, die unter Auflagen erteilt werden kann. Zunächst für wenige Wochen. Zu Fall kommen nicht nur Fussball- und Eishockeymatches, auch der Morgestraich in Basel wird abgesagt. Der Engadiner Skimarathon fällt flach.[2] Messen und Ausstellungen wie Genfer Autosalon, Uhrenmesse werden nicht durchgeführt. Von Schulschliessungen wird zunächst abgesehen, um die Alten, die bei Ansteckung gefährdet sind, zu schützen, die ja die Kinder dann hüten müssten.

-----------------[2] Trotzdem sind, wie das Fernsehen zeigt, an dem Tag noch Hunderte oder Tausende miteinander auf der Loipe. Wir wissen noch nicht, was das bedeutet, was noch auf uns zukommt und was für ein epidemiologischer Unsinn das ist. Die Hotels sind ja noch gut belegt da oben.

Aber die Sache nimmt Fahrt auf, vor allem in den Medien. Dazu gehören auch die Handys, Tablets und Notebook, kurz die Social Media, die die eigentliche Echokammern sind, in denen der Fall eines Staubkorns ein Riesengewitter mit Donnerkeilen wie von Thor oder Zeus geschleudert auslösen kann. Panik aus dem Nichts, auch wenn die Corona-Geschichte bedrohlich genug wird.

Der Druck auf die Entscheidungsträger muss enorm sein. In dieser Phase reagiert der Bund ruhig, wenn auch bestimmt. Er wird von den klassischen Medien meist gut unterstützt. Ruhe wahren, diszipliniert handeln.

Beispielhaft ist die Information des BAG und dabei vor allem des zuständigen Beamten Daniel Koch, der ein ruhender Pol zu sein scheint. Er hat Wichtigeres zu tun, als sich zu rasieren. Er gibt – auch in der Folge –der Krise ein Gesicht. Und eine Stimme.

Bis Mitte März überschattet dann Covid19 alles andere. Die Zeitungen sind voll, ganz voll, TV-Nachrichten kennen Mitte Monat jeweils nur noch eine oder zwei Meldungen, die nicht – direkt – Coronavirus-abhängig sind. Die NZZ bringt Sonderbünde. Es gibt nur noch ein THEMA.

Der Bund propagiert Verhaltensmassregeln, zuerst schwächere, dann immer dringendere. Zuerst fleissig Hände waschen, Niessen in die Armbeuge, Abstand halten, Verzicht auf Handschlag. Dann und möglichst nicht in Stosszeiten Zug fahren, zuhause arbeiten (Home Office), bei Symptomen daheim bleiben, nicht sofort in den Notfall rennen, Grosseltern vor Enkeln schützen. All das nicht so tragisch. Das sollte noch kommen.

Jetzt wird’s ernst

Zuerst gehe ich noch am Montagabend in die Turnstunde, wo wir uns zunächst noch die Hand geben, dann aber nur noch mit Fuss oder Arm Kontakt machen. Aber zum Bier geht es anschliessend noch. Auch mit den Senioren am Dienstagnachmittag wandern und Jassen ist drin (der Wirt im Hirschen Gloten empfängt uns mit einem Sprutz Handinfektionslösung). Und am Dienstagabend Singen im Kirchenchor Fischingen.

Ich fahre nach Lausanne, wo wir eine OK-Sitzung für das Treffen der Berner 68er vom September haben. Die Züge sind teilweise voll, die lokale Metro gschtosse voll. Und ich treffe Florian zu einem unserer regelmässigen Mittagessen im Fédéral im Zürcher Hauptbahnhof. Es ist leer dort, der Kellner sagt, die Touristen fehlten völlig.

Inzwischen breitet sich das Virus in der ganzen Schweiz aus, weitere Massnahmen stehen vor der Tür.

Der Kirchenchor wird abgesagt, ebenso die Turnstunde. „Diese Massnahme ist unbefristet! Der Vorstand wird sich laufend über den aktuellen Stand der Situation informieren und austauschen. Ebenfalls werden wir die Mitglieder zur gegebenen Zeit über eine Wiederaufnahme der Trainings informieren“, schreibt der Präsident der Männerriege. Für die Fitness muss ich jetzt mehr mit Elo wandern, was ja eigentlich kein „Muss“ ist, aber sie geht bei jedem Wetter. Wie es mit den Seniorenwanderern weitergeht, weiss ich noch nicht.

Am 1. April soll die Männerriege bei der Jahresversammlung des Hauseigentümerverbands servieren (das gibt Geld in die Kasse). Ich frage am Donnerstag (12.3.) an, ob das stattfindet. Gabriel, der Sekretär, sagt, er hätte am Vortag das o.k. aus Frauenfeld unter Auflagen (Registrierung der Teilnehmer, bisher 350 Anmeldungen) erhalten, sei aber nicht sicher ob sie es machen.

Rund um die Schweiz werden die Grenzzäune hochgezogen. Das Tessin geht voran mit Kontrollen nach Italien[3] und Schliessung von kleinen Grenzübergängen. Österreich schliesst die Grenze zur Schweiz.

----------[3] Die Italiener befolgen die Massnahmen recht diszipliniert – nach einer Flucht von in Norditalien ansässigen Süditalienern in ihre alte Heimat, wo sie umgehend in der gleichen Situation waren, wie in der zunächst nur regional abgeschlossenen Lombardei und Umgebung.

Flüge werden en Masse gestrichen, den Fluglinien geht bald der Schnauf aus. Belgien schliesst die Beizen, das in einem Land, in dem gut essen zum Grundbedarf gehört. Und der – leider gefährliche – Clown im Weissen Haus sucht das „fremdländische“ Virus durch Teilabschottung zu bekämpfen, nachdem er bisher im Gesundheitswesen alles getan hat, um ihm Vorschub zu leisten.[4]

---------[4] Was sich der auch in dieser Zeit verbal alles leistet, würde ein eigenes Buch füllen. Muster: Journalisten infizieren sich absichtlich, um ihn anzustecken. Er wird’s sogar noch glauben.

Das Tessin treibt seine Massnahmen nicht nur an der Grenze voran (die Kontrollen führen dazu, dass sich die Zahl der Grenzgänger von über 65‘000 halbiert, das Gesundheitswesen wäre ohne den Rest total am Boden). Der Kanton schränkt den Unterricht ein, begrenzt die Öffnungszeiten der Beizen auf vor 15h usw.

Die Sportsaison wird allüberall abgeblasen und TV und Radio müssen überlegen, mit was sie die Seher und Hörer bei der Stange halten wollen. Das Kulturleben liegt ab, von der Kleinkunst bis zur Oper. Die Veranstalter sind zu bedauern.

Die Hotellerie und der Tourismus insgesamt stehen vor einem tiefen Loch.

Persönlich lasse ich den Coiffeur ausfallen und Elo rasiert mir die Birne mit dem Elektroapparätli tiptop ab.

Freitag der 13.!

Und dann am 13.3. der Paukenschlag. Ein Freitag.

Der Bundesrat verordnet am Nachmittag zu viert hoch für 1530 die Schliessung aller Lehrinstitutionen (Kantone können Kitas offen halten und Schulen für Betreuung von Kindern nutzen, für die berufstätige Eltern keine Lösung finden) bis und mit Osterferien – zunächst. Verbot von „Präsenzunterricht“ heisst das. Betroffen von den Schulschliessungen sind vor allem Doppelarbeiter und Alleinerziehende, die die Betreuung organisieren müssen. Die Thurgauer Schulanlagen sollen die Lehrerinnen und Lehrer bereit sein, Kinder zu betreuen, die nicht untergebracht werden können. Das wäre vernünftig. Dass die Kantone hier wie auch in der Frage der Kitas Freiraum erhalten ist gut und zeigt, dass der Bund sich bei der Sache was denkt.

Dann sind alle Veranstaltungen von über 100 Teilnehmern untersagt. Geschlossen werden alle Schigebiete. (Wird dürften allerdings unser Sporttraining noch machen.) Aus Italien dürfen nur noch Personen mit Arbeitsbewilligung oder Transitreisende einreisen. In Restaurants und Bars dürfen sich nicht mehr als 50 Personen aufhalten. Nicht alle halten sich an die Anordnungen.

Und die Trottel machen, trotz der Versicherung, dass das nicht nötig sei, Hamstereinkäufe wie wild. Gret hat keine Kartoffeln mehr bekommen in Basel, in Bern war das WC-Papier weg. Da hat sich sogar der Migros-Mensch im Fernsehen gewundert, was jemand mit 10 km Toilettenpapier macht.

Und die SchigegendenBern und Innerschweiz erlauben sich noch eine Schlaumeierei: Da sie im Verbot der Sportveranstaltungen nicht explizit erwähnt sind, schliessen sie nicht, wie geboten, am Freitag um 1530h, sondern lassen den Samstag noch voll laufen. Als Bundesrat Berset das als illegal bezeichnet, sind sie pikiert und wollen sich rausreden. Am beleidigtsten ist Ständerat Wicki aus Nidwalden. Dass er Präsident der Titlisbahn ist, ist wohl zufällig. Als Ständerat hätte er ja leicht nachfragen können. Ein Schelm, der Böses dabei denkt...

Daneben stellt der Bund vorerst mal 10 Milliarden für die Wirtschaft zur Verfügung. Für die Finanzierung von grosszügiger Kurzarbeit, für Steuerstundungen usw. Dann wird die Armee (Sanitätstruppen) aufgeboten zur menschlichen und materiellen Unterstützung. Der Bund macht zur Zeit einen guten Job. Er verbreitet Zuversicht recht überzeugend. Wir haben genügend Mittel wirtschaftlicher und gesundheitsökonomischer Art. Ob wir sie sozial haben, muss sich zeigen.

Die Perspektiven sind nicht erbaulich. Dass die Börse massiv taucht, stört uns wenig. Wir haben AHV, Pension und die Immobilieneinnahmen. Und wenn wir zuhause sind, brauchen wir eher wenig. Aber die drohende soziale Abschottung stinkt uns schon. Die Folgen für die Wirtschaft sind massiv.

Am schlimmsten ist die fehlende Zeitperspektive. Was bedeutet das, wenn der Bund den Höhepunkt der Krise nach hinten drängen will, die Welle dämpfen, damit das System nicht kurzfristig überlastet wird? Wie lange dauert die Sache?[5] Einen Monat, oder bis Mai, bis in den Herbst?

-------[5] Unsere für Mai geplante Reise nach Südfrankreich müssen wir wohl abblasen, die Grenzen werden dicht sein, die Infrastruktur am Boden. Dass wir jetzt keine grosse Reise geplant haben, ist ein Glücksfall. Weder einen interkontinentalen Flug mit unsicherer Rückreise noch eine Kreuzfahrt mit Aussicht auf Quarantäne à la Diamond Princess in Japan (s.o.)

Der Thurgau rechnet mit einigen hundert Fällen in den kommenden Wochen. Der gebildete Führungsstab hat finanzielle Kompetenzen (insgesamt 1 Mio, 200‘000 einmalig, 50‘000 wieder kehrend), von denen sich zeigen muss, ob sie reichen. Die Schulen sind am Montag zu, am Dienstag startet das Betreuungsangebot. Veranstaltungen unter 100 Teilnehmern brauchen keine Bewilligung mehr, die Veranstalter müssen abwägen. In den Spitälern herrscht Besuchsverbot. (Betten haben wir ja vielleicht noch genug, da das neue Kantonsspital offen ist, das alte aber noch nicht abgerissen...).

Ob ich meine Mutter mit ihren 100 Jahren im Altersheim auf Dauer noch hätte besuchen dürfen, ist fraglich (zur Zeit geht es in Münchwilen für Kinder noch, andere sind rigoroser, härter). Elos Eltern in Frankfurt wären aber sicher durch die Masche gefallen; jeweils 14 Tage Quarantäne in Frankfurt und dann wenn möglich auch noch hier (pro Besuch!), das wäre nicht gegangen. Froschperspektive, aber das Ganze ist wohl viel einschneidender, als wir es uns heute vorstellen können.

Wie gut sind wir vorbereitet? Ein früherer Direktor des Bundesamtes für Gesundheit hat uns erzählt, die Schweiz könne nicht mehr als 3 (DREI) Ebolapatienten gleichzeitig versorgen. Und ein Turnkollege, der im Sicherheitsstab des Kantons ist, sagt, Schwerstverbrannte könnten wir nur 1 (EINEN) versorgen, in Lausanne.

Soweit die Vorgeschichte. Bis und mit Tag 1 (14.3.)


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11. Woche und Rückkehr